Offener Brief: Wegen Doppelhaushalt 2020/21: Für mehr Akzeptanz und gleiche Rechte in Baden-Württemberg
Sehr geehrte Frau Brigitte Lösch,
am 19.12.2019 erreichte mich ihr Schreiben zur Verabschiedung des Doppelhaushalts 2020/21: Für mehr Akzeptanz und gleiche Rechte in Baden-Württemberg. Darin schrieben sie, dass dadurch Baden-Württemberg den gemeinsam mit der LSBTTIQ-Community eingeschlagenen Weg für Akzeptanz und gleiche Rechte konsequent weiter geht.
Bereits in 2015 wurde der Aktionsplan „Für mehr Akzeptanz und gleiche Rechte in Baden-Württemberg“ verabschiedet und – zugegeben – es wurden bisher ein paar innovative Projekte dadurch gefördert:
Im Haushaltsjahr 2017 waren für den Aktionsplan 250.000 Euro veranschlagt. Mit den Mitteln konnten die Geschäftsstelle für das Netzwerk LSBTTIQ sowie die psychosoziale Beratungsstruktur an mittlerweile 14 Beratungsstellen in Baden-Württemberg weiterentwickelt werden. Zahlreiche kleinere, regionale Projekte zum Abbau von bestehenden Diskriminierungen und zur Sichtbarkeit von LSBTTIQ-Menschen wurden zudem landesweit gefördert.
Durch die Landesförderung in Höhe von 100.000 Euro für das Jahr 2017 konnte der Aufbau einer verlässlichen und qualitativ hochwertigen LSBTTIQ-Beratung in Baden-Württemberg weiter vorangetrieben werden. Durch die Förderung von kleineren Projekten im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplans „Für Akzeptanz & gleiche Rechte Baden-Württemberg“ konnten gezielt Angebote für Jugendliche geschaffen werden, beispielsweise ein Treff für Mädchen und Transjugendliche in Reutlingen und Jugendgruppen für homo- und bisexuelle Jugendliche in Mannheim. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Qualifizierung von Personen, die mit Jugendlichen arbeiten. Hier wurde eine Fortbildung für Jugendtrainerinnen und -trainer gefördert.
Nun in ihrem Brief zur Verabschiedung des Doppelhaushalts 2020/21 schrieben sie, die vorgesehenen Mittel seien erforderlich für die erfolgreiche Umsetzung und die konzeptionelle Weiterentwicklung der Maßnahmen aus dem Aktionsplan „Für Akzeptanz & gleiche Rechte Baden-Württemberg“ in den kommenden beiden Haushaltsjahren. Gemeinsam wollen sie Vielfalt stärken, Akzeptanz fördern und Diskriminierung abbauen.
Sie schreiben in ihrem Brief, sie wollen die LSBTTIQ-Verfolgungsgeschichte wissenschaftlich aufarbeiten. Dazu soll, mit jeweils 100.000 Euro in den Jahren 2020 und 2021, die Verfolgung weiblicher Homosexualität in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit erforscht werden und außerdem das Bildungszentrum und Archiv zur Frauengeschichte Baden-Württembergs in den Jahren 2020 und 2021 mit jeweils 100.000 Euro gefördert werden.
Bei all diesen vergangenen und noch geplanten Förderungen fällt mir ein großer Haken auf: Sie reden ständig von LSBTTIQ, fördern aber hauptsächlich nur Projekte von oder für Homosexuelle (schwul/lesbisch) Menschen.
Selbst die Förderung(en) für das Landesnetzwek LSBTTIQ Baden-Württemberg, kommt vor allem und hauptsächlich der Community um LSB zu Gute und kaum den TTIQ.
Es wird Zeit, dass wir transsexuelle Menschen endlich aus diesem Schatten hinter LSB heraus treten und uns ebenfalls bemerkbar machen. Mit Verstecken und Unsichtbarmachen im grossen T* oder der LGBTTIQ-Algebra kommt man da nicht weiter. Und auch nicht mit der allgemeinen Diskriminierungskelle. Wir kommen nur weiter über spezifische wertvolle Dienstleistungen wie eine Jobbörse nur für T* Menschen, spezifische qualifizierte Beratung nur für und nur von T* Menschen, gute Beratungsstellen nur für und nur von T* Menschen, seriöse evidenzbasierte Informationen und auch intelligente Wissenspeicher (über Dienstleistungen) oder fundierte professionelle Medienkampagnen.
Schwulen- und Lesbenverbände sehen zu, dass SIE mit ihren Anliegen im Vordergrund sind und ihr Ding durchbringen. Das sieht man doch jetzt an der Spahn-Konversionstherapie-Berichtserstattung. Wir transsexuelle Menschen kommen einfach nicht vor. Es gibt uns nicht, wir sind peinlich. Wir sind jedoch natürlich nützlich, z.B. wenn es darum geht schwullesbische Beratungsstellen finanziell aufzufetten. Denn die paar unentdeckten homosexuellen Menschen, damit wäre kein Beratungsstellenkosmos finanzierbar. Da sind ein paar schrille, tuntenhaft erscheinende transgender-Exoten, möglichst noch schwul, als Aufputz gut. Der Weg des kollektiven Empowerments und die Entwicklung eines kollektiven T*-Selbstbewusstseins tut gut und bringt uns weiter. Wir müssen zu unserer eigenen Stimme finden, ohne 5. Rad am LSB(TTIQ)-Wagen zu spielen.
Liebe Frau Lösch, es gibt viele Initiativen, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, die von transsexuellen Menschen bereitgestellt werden und für transsexuelle Menschen verfügbar sind. Diese ganzen kleinen T*-Initiativen gehen in ihrem Doppelhaushaltsplan seit 2015 unter und kämpfen verzweifelt gegen die großen Initiativen an, die entweder das LSB groß voran geschrieben haben und alles danach mehr oder weniger unter den Tisch kehren, oder die durch ihre alleinige Größe und andere Fördermittel stabil und erwachsen genug sind, um sich zu behaupten.
Diese ganzen kleinen Gruppen und Initiativen, wie zum Beispiel die Trans* Selbsthilfegruppen Hegau e.V., die sich redlich bemüht, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen dort zu etablieren, wo es noch keine gibt, und die somit direkt an der Basis arbeitet und direkte, effektive Hilfe auch im Notfall leistet, die gehen leer aus.
Wir, die Trans* SHG Hegau e.V., wurden in 2016 am Bodensee gegründet, weil es im Umkreis von über 150 Kilometern kein Informations- oder Beratungsangebot gab. Inzwischen sind wir mit unseren Peer-Beratungsstellen auch vom Landesnetzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg anerkannt und haben ein Netzwerk an Peer-Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen aufgebaut, dass nicht nur die gesamte Bodenseeregion flächendeckend mit Beratung und Information versorgt, sondern sogar bis nach Mannheim oder Fulda reicht.
Neben solchen großen Institutionen wie die DGTI e.V., der BVT*, ATME e.V. oder dem Landesnetzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg, gehen wir allerdings bei der Beachtung von Förderungen unter und müssen im Gegensatz zu diesen großen Gruppierungen, ständig um unser Überleben kämpfen.
Und dabei sind gerade wir es, die wirklich evidenzbasierte Gesundheitsversorgung an der Basis leisten und wirklich professionelle, evidenzbasierte Peer-Beratung von transsexuellen, transgender und/oder intersexuellen Berater*innen sichtbar für transsexuelle, transgender und/oder intersexuelle Menschen anbieten sowie die Beratung bei Fragen zur geschlechtlichen Körperlichkeit, Leiblichkeit, inklusive Identität und zur evidenzbasierten Gesundheitsversorgung professionalisieren.
Vielleicht wären sie ja dazu bereit, auch einmal die kleinen T* Gruppierungen zu unterstützen, die es wirklich nötig haben und wirklich innovative und sinnbringende Arbeit leisten, statt sich auf LS(B) zu fixieren und gerade Diesen, unter dem Deckmantel des T*, noch mehr Geld in den Rachen zu schmeißen.
Mit freundlichen Grüßen
Christin Löhner
1. Vorsitzende
Trans* Selbsthilfegruppen Hegau e.V.
Trans SHG Hegau e.V.
In Kooperation mit:
• Deutsche Gesellschaft für Health Consumer Ethics (DGHCE)
• Customer Health Network Switzerland (CHNS)